Die Präsidentschaftswahl in Brasilien:das nächste Ereignis auf unserem Radar
- Die Wahlen in Brasilien im Oktober sind das nächste Schlüsselereignis, das man im Auge behalten sollte
- Unsere Einschätzung verschiedener möglicher Szenarien: der „Best Case“, der „Worst Case“ und der inhaftierte Ex-Präsident
- Mögliche Auswirkungen auf Quasi-Staatsanleihen, Finanzwerte und private Unternehmen
Der Markt konzentriert sich derzeit zu Recht auf Argentinien, die Türkei und Russland–und wir tun dies ebenfalls. Im Hintergrund bahnt sich jedoch ein weiteres Schlüsselereignis an. Unseres Erachtens dürfte Brasilien angesichts der im Oktober anstehenden Präsidentschafts-wahl als nächstes in den Fokus der Anleger rücken.
Die grösste Frage für Brasilien lautet in diesem Jahr, wer der nächste Staatspräsident werden wird. Für das Land handelt es sich dabei nicht um irgendeine Wahl: Es ist die erste Wahl seit der Amtsenthebung des letzten gewählten Staatsoberhaupts und seit Brasiliens Abrutschen in eine Rezession. Brasilien bahnt sich erst langsam seinen Weg aus der Rezession, und die Staatsverschuldung steigt zunehmend (siehe Abbildung1). Angesichts dieses Umfelds wird der nächste Präsident einen erheblichen Einfluss darauf haben, ob die Erholung zu einem Er-folg werden wird oder scheitert. Bei Fisch beobachten wir die Situation aufgrund ihrer Bedeu-tung für die Schwellenländer genau, insbesondere da Brasilien 6.2% des J.P. Morgan CEMBI Index auf sich vereint und damit nach China das Land mit der grössten Gewichtung ist.
Abbildung1: Entwicklung der Staatsverschuldung und des BIP-Wachstums
Die Kandidaten
Zum momentanenZeitpunkt sehen wir für die Wahl drei Spitzenkandidaten: Geraldo Alckmin, Jair Bolsonaro und Fernando Haddad. Auch Marina Silva und Ciro Gomes könnten die Wahl für sich entscheiden. Obwohl es für eine genaue Einschätzung noch zu früh ist, haben diese beiden Kandidaten zum aktuellen Zeitpunkt unserer Meinung nach jedoch keine echte Chance.
Für die Märkte wäre der „Best Case“ unserer Ansicht nach ein Wahlsieg von Geraldo Alckmin. Wir erachten Alckmin, der eher aus der politischen Mitte stammt, als den berechenbarsten Kandidaten–und derzeitist Berechenbarkeit genau das, was die Anleger benötigen. Alckmin verfügt über Erfahrung in der brasilianischen Politik und Verbindungen in den Kongress. Dies dürfte die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung entscheidender Reformen, die Brasilien bitter nötig hat, erhöhen. Obwohl er von den Märkten unterstützt wird, muss Alckmin im Vorfeld der Wahlen einige grosse Hürden nehmen, da viele Brasilianer ihn mit Michel Temer und der aktuellen Regierung in Verbindung bringen. Sollteer diese Assoziation lösen können und es in die Stichwahl schaffen, hat Alckmin unserer Meinung nach eine reale Chance, den Wahlsieg davonzutragen.
Das zweitbeste Szenario aus Sicht der Märkte wäre ein Sieg von Jair Bolsonaro. Bolsonaro machte Karriere als Militärpolitiker und positioniert sich als anti-linker Kandidat und einzig wahre Opposition (obwohl er seit über 20Jahren im Kongress sitzt). Aus wirtschaftlicher Sicht sehen wir ihn insbesondere kurzfristig als positiven Kandidaten, da er einen Ökonomen der Universität Chicago, Paulo Guedes, zum Finanzminister ernennen möchte. Aufgrund seiner mangelnden Bündnisse stellen wir uns jedoch die Frage, ob Bolsonaro in der Lage sein wird, Reformen durch den Kongress zu bringen. Insbesondere auf lange Sicht sehen wir Bolsonaro jedoch aufgrund seiner Nähe zur Militärregierung, seiner fragwürdigen Moralvorstellungen und seiner unberechenbaren Persönlichkeit auch als Risikokandidaten. Es ist anzumerken, dass der Widerstand gegen Bolsonaro grossist, da viele Brasilianer ihn als fragwürdige Person sehen. Bei einer Stichwahl würde diesem Aspekt eine besonders grosse Bedeutung zukom-men. Letztendlich müssen die Brasilianer abwägen, ob ein Regierungswechsel und wirtschaft-liche Verbesserungen einen möglichen Umschwung inder Sozialpolitik rechtfertigen.
Und schliesslich der „Worst Case“ der drei wahrscheinlichsten Szenarien wäre unseres Erach-tens ein Wahlsieg von Fernando Haddad. Angesichts der bisherigen Bilanz der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores –PT; die Partei der des Amtes enthobenen Rousseff und des in-haftierten Lula) haben wir im Hinblick auf Haddad einige entscheidende Bedenken. Obwohl Haddad einen gewissen Reformbedarf öffentlich unterstützt hat, sorgen wir uns um die Be-reitschaft der PT, bestimmte Reformen umzusetzen, insbesondere da diese kurzfristige Folgen fürdieWählerbasis der Partei hätten. Darüber hinaus hat sich die PT in der Vergangenheit bei quasi-staatlichen sowie anderen Unternehmen eingemischt und diese zur Umsetzung ihrer Politik genutzt. So kontrollierte Dilma Rousseff etwa die Kraftstoffpreise von Petrobras, um die steigende Inflation zu bremsen. Viele Wähler waren mit Haddad als ehemaligem Bürger-meister von São Paulo zwar unzufrieden, jedoch dürfte er im Falle einer Stichwahl auf dieUn-terstützer von Lula zählen können.
Das Schwergewicht im Wahlkampf ist jedoch nach wie vor Lula (Haddad wird aktuell als PlanB der PT diskutiert). Wird er in den Umfragen berücksichtigt, geht er stets als eindeutiger Favorit hervor. Wir ziehen ein Szenario, in dem der ehemalige Präsident von den Behörden zur Wahl zugelassen wird, derzeit allerdings nicht in Betracht. Sollte dieser Fall jedoch eintreten, hätte Lula unseres Erachtens eine echte Chance auf den Wahlsieg, was wir für die Märkte definitiv als negativ beurteilen würden. Wir werden die Entscheidung der Wahlbehörde im Hinblick auf diesen Kandidaten, die hoffentlich noch im August oder September gefällt wird, genau verfolgen.
Potenzielle Auswirkungen auf brasilianische Emittenten
Mit Blick auf die Unternehmen dürfte es sich bei den Unternehmensanleihen, die vom Aus-gang der Wahl wohl am meisten beeinflusst werden, in unseren Augen um jene quasi-staatli-cher Emittenten handeln. Hierzu zählen Petrobras, Banco do Brasil und Eletrobras, die zusam-men2,4% des Schwellenländer-Index ausmachen (Betriebe, die zu 100% in staatlicher Hand sind, wie etwa BNDES und Caixa, werden im Unternehmensindex nicht berücksichtigt). Die Rolle, die diese Unternehmen in der Politik des nächsten Präsidenten spielen werden,ist von entscheidender Bedeutung. Eine grundlegende Frage lautet zum Beispiel, ob Petrobras an der Zapfsäule weiterhin Marktpreise verlangen darf oder nicht. Darüber hinaus kann eine weitere Privatisierung von Eletrobras oder zumindest ein geringerer staatlicher Einfluss die Erholung des Unternehmens nach der schwierigen Phase in der Vergangenheit begünstigen. Wir gehen davon aus, dass der Markt auf Einmischungsversuche des Staates überaus negativ reagieren wird. Das grösste Risiko ist letztendlich eine mögliche Verstaatlichung oder Manipulationen des operativen Geschäfts in Verbindung mit Korruption, wie dies bei der vorherigen Regierung der Fall war. Die Kandidaten, bei denen wir die grössten Sorgen hinsichtlich einer solchen Ein-mischung haben, sind Haddad und Gomes.
Auf die brasilianischen Finanzinstitute hätte das Wahlergebnis ebenfalls Auswirkungen. Ban-ken würden nicht nur von der allgemeinen Binnennachfrage sondern auch von möglichen Ver-zerrungen bei den Zinssätzen und der Kreditpolitik beeinflusst. Sollte ein sozialistischer Kandi-dat gewinnen, könnten private Bankenwie in der Vergangenheit durch manipulierte Zinssätze, aufgeblähte öffentliche Geldhäuser und Liquiditätsprobleme beeinträchtigt werden. Dabei ist jedoch festzuhalten, dass die privaten brasilianischen Banken in unserem Anlageuniversum, wie etwa Itau und Bradesco, zu den grössten und etabliertesten des Landes gehören und über Erfahrung im Umgang mit höherer Volatilität verfügen. Im Falle eines Wahlsiegs der PT dürfte es jedoch vermutlich zueiner Neubewertung des Risikos kommen. Zur Einordnung sei ange-merkt, dass Banken 1.6% des Schwellenländer-Index auf sich vereinen (0.9% ohne Banco do Brasil).
Wir erwarten ausserdem, dass Anleihen von Privatunternehmen beeinträchtigt werden–wenn auch in geringerem Umfang als die beiden zuvor genannten Gruppen. Die Inlandsnach-frage, die Devisenkurse und lokale Vorschriften haben zwar einen Einfluss auf sämtliche Un-ternehmensanleihen, jedoch sind die Unternehmen in Brasilien insbesondere nach den Her-ausforderungen der vergangenen Jahre daran gewöhnt, in einem volatilen wirtschaftlichen Umfeld zu agieren. Darüber hinaus handelt es sich bei vielen Unternehmen in unserem Anla-geuniversum um multinationale Konzerne oder Exportunternehmen, die von der globalen Nachfrage abhängig sind. Das Exportgeschäft von Protein-Herstellern wie JBS, Marfrig und Mi-nerva könnte zum Beispiel profitieren. Ferner hängen Bergbauunternehmen wie Vale und Nexa stärker von den globalen Rohstoffmärkten als von der lokalen Nachfrage ab. Da keiner der drei aussichtsreichsten Kandidaten Äusserungen über Eingriffe in den privaten Sektor ver-lauten lässt oder eine isolationistische Politik verfolgt, erwarten wir, dass brasilianische Un-ternehmensanleihen die Wahl nach einer etwas volatileren Phase relativ unbeschadet über-stehen werden. Für Anleger können hierdurch Gelegenheiten entstehen, da hochwertige Unternehmensanleihen in einem derart unsicheren Umfeld einen relativ sicheren Hafen dar-stellen können.
Zukünftige Entwicklungen
Letztendlich steht Brasilien vor einer bedeutenden Wahl, und angesichts derart unterschied-licher Kandidaten handelt es sich für das Land um eine richtungsweisende Entscheidung. Lei-der hat Brasilien Schwierigkeiten, sich ausreichend von den politischen Ideologien zu distan-zieren, die ihm in der Vergangenheit zum Nachteil gereichten. Die Tatsache, dass Lula als Präsident im Gespräch ist und in Umfragen sogar vorne liegt, ist für viele nicht nur unerträg-lich, sondern schlicht unfassbar. Aus Sicht der Brasilianer erscheint esjedoch auch verständ-lich, dass eine frustrierte Bevölkerung, die eine grosse Ungleichheit erlebt, einen solchen Kurs in Erwägung zieht. Unseres Erachtens ist sich jedoch ein ausreichend grosser Teil der Bevölke-rung bewusst geworden, welche Folgen eine lang andauerndePT-Regierung hätte. Wir hoffen daher auf einen Regierungswechsel.
Abbildung2: Entwicklung des Spreads zwischen dem brasilianischen Teilindex und dem CEMBI Broad Diversified Index (in Bp.)
In den Monaten vor der Wahl dürften sich zahlreiche Gelegenheiten bieten, da wir von einer erhöhten Volatilität ausgehen. Letzten Endes bleibt Brasilien ein Land mit einem grossen Reichtum an Rohstoffenund ein Index-Schwergewicht. Es sollte daher keinesfalls ignoriert werden. Unsere Portfolios bilden derzeit die Marktgewichtung ab. Wir erwarten, dass wir diese Positionierung beibehalten werden, bis wir nähere Hinweise darauf haben, welchen Weg Brasilien im Rahmen der anstehenden Wahlen einschlagen wird. Die vorstehende Grafik zeigt, dass die aktuellen Bewertungen angemessen sind und ein vernünftiges Wahlergebnis einpreisen. Die Kurve zeigt allerdings auch, was passieren kann, wenn das politische Risiko steigt und das Land erneut in eine Schieflage rutscht. Letztendlich mögen wir bei Fisch jedoch idiosynkratische Risiken–und die Wahl wird uns genau diese liefern.